Als die Sterne am Nachthimmel erscheinen, öffnet er seine Augen. Grinzing ist ein von Touristen durchseuchter Ort. Doch auch hier gibt es noch verborgene Plätze, die den besten Wein kredenzen. Er beschließt, die Platte aus durchsichtigem Vinyl ein weiteres Mal abzuspielen. Am Eck schimmert in milchigem Grün die kleine Lampe, halb verdeckt von einem Zweig. Dies ist sein bevorzugter Heuriger. Den Mantel mit verborgenen Taschen zieht er sich mit einer Drehung an, wobei ein Knopf einen original Markus Prachensky an der Wand streift. Dann geht es los zu den Sternen im Glas. Die Kellnerin begrüßt den späten Gast freundschaftlich. Rund um ihre bloßen Oberarme ist ihr Dirndl üppig gebauscht. Etwas schummrig wirkt die Atmosphäre heute. Doch gleich wird flüssiger Smaragd im gläsernen Schuh schillern. Denn die Achtelgläser für die Stammgäste ähneln einem winzigen Stiefel. Leise tönen Wienerlieder aus unscheinbaren Lautsprechern. "Wie war dein Tag?", fragt er die Kellnerin. Als Antwort schenkt sie ihm ein entspanntes Lächeln und ihre Hüften schaukeln beim Näherkommen. Allein an der Theke stehend betrachtet er die drei verbliebenen Gäste. Er nickt dem Herrn im Anzug, mit Dackel an seiner Seite, zu. Eine Säuferin aus der Nachbarschaft erhält soeben eine Flasche Hauswein ohne Etikett. Angelehnt an den warmen Kachelofen sitzt sie auf der Bank. Jener zeitungslesende Fremde, der sich hierher verirrt hat, könnte ich sein. Träge Schlieren laufen am Fenster hinab wie vorgewitterliche Tränen. Er bestellt ein zweites Achterl und tänzelt aufs Klo. Der Dackel winselt, richtet sich mühsam auf. Beim Gehen wird der Hund zum Wackeldackel. Inzwischen versammeln sich die Krähen im kahlen Baum des Gastgartens. Der Gast erscheint erleichtert vom Pissoir. Er kehrt zurück zur Theke, zur Kellnerin – zum Wein. Es herrscht ein familiäre Stimmung. Die liebe Kellnerin mit slawischen Wurzeln spendiert für alle Nussschnaps. Sie trinken auf die Gesundheit der alten Dackeldame. Die Wiener Lieder gehören hier einfach dazu. Mizzi Starecek, die grandiose Alt-Ottakringerin, dudelt. Diese Aufnahmen zählen schon viele Jahrzehnte. Draußen geht der Sturm. Die Esche hat ihre Finger gespreizt. Dort am Nussberg spielen Füchse unter den knorrigen Rebstöcken. Der späte Gast leert sein bereits fünftes Glas. Die Kellnerin studiert ihr Handy. Auch sie liebt den Wein aus dunklen Gärten. Nun ist er an der Reihe, eine Runde auszugeben. Seine Geste beim Bestellen ist die eines Schauspielers. Die Kellnerin ist ein Engel. Sie bringt eine Flasche Vogelbeergeist. Nun wird auf die Toten getrunken. Früher saßen hier um diese Uhrzeit noch mehr Leute. Lässig an die Theke gelehnt macht der Stammgast der Kellnerin ein hingehauchtes Kompliment. Sie gibt ihm einen gar nicht schüchternen Kuss.
[©Georg D. Schneider]