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Thomas Weinberger

Chickenportrait #15

Frieden

Hidden traces #16

Landschaft mit Laternen

Chickenportrait #33

Schamhaarschnitttage – ein Selbstmanagement

Er möchte dahin gelangen… wir alle sollten dahin gelangen… gezwungen zu sein, das Beste zu tun. Wir sollen uns selbst lieben. Wir sollen aber auch lieben, was uns nicht gefällt, weil es ja zu uns kommt, und wie erwehren wir uns denn, wenn wir es nicht annehmen? Da braucht es eine Entwicklung, ein Weiterkommen, das Unangenehme gerne tun, weil wir es lieben, wie zum Beispiel seine Schamhaare. Nein, er hasst sie nicht, dazu würde er sich nicht versteigen, nur sind die Schamhaare auf eine gewisse Weise… lästig… lästige Begleiter. Je mehr er gegen sie ankämpft, desto lästiger werden sie, wie die Schlangen auf dem Haupt der Medusa, sie wachsen nach und werden kringelig. Das ist die Evolution, Schamhaarschlangen haben eine evolutionäre Kraft, die in ihrer Biegsamkeit liegt. Lästig sind sie ja auch, weil sie immer wieder gleich anfangen zu wachsen, kaum, dass er sich einen Abend lang mal nackt im Spiegel ernsthaft ansehen konnte. Auch wenn sie erst kleine Punktstoppeln sind, stören sie bereits das ohnehin angeschlagene Bild der Perfektion, denn das lebt. Und dann die Selbstentwürdigung: Morgen rasiert er, jetzt rasiert er nicht, dann… später… und diese Aufschieberei färbt ab auf das ganze andere Leben mit den vielen Dingen, die… es sind ja die Schamhaare nur ein Beispiel, ein Abbild der Tücke der Dinge, obwohl es sich ja streng genommen nicht um Dinge handelt, denn Dinge pflegen nicht zu wachsen, folglich handelt es sich auch nicht um die Tücke der Dinge, sondern um die Tücke der Natur, die Tücke des Lebens, eine Spiegelung der Prozesse in der Schambehaarung. Und wird der sich wiederholende Prozess des vergeblichen Wiedergewinns einer bei der Geburt schon verlorenen Kontrolle über die Natur, das Leben und letzten Endes das Sterben nur lange genug aufgeschoben, dann… dann wird es erst richtig unangenehm, denn dann sind die Schamhaare bereits zu lang, dann beginnt der Prozess zum Kampf zu werden, mit dem Einwegrasierer, mit der Haut und auch… die Reinigung, die Schamhaare verschwinden dann ja nicht einfach im Abfluss, da wartet schon eine Entscheidung… vor dem Waschbecken oder in der Dusche, eine Badewanne kommt als Option ja nicht in Frage, denn entweder schwämmen die Schamhaare dann um einen herum und blieben an allen möglichen Teilen des Körpers kleben, denn dann kann man ja nicht mehr aufstehen aus dem Wasser, ohne dass alles kleben bleibt, was zuvor im Wasser bloß trieb, oder – in der leeren, kalten Wanne… Nein, daran ist gar nicht zu denken, folglich offerierte die Badewanne nur ein Dilemma. Aber auch die Dusche, lässt er das Wasser laufen oder nur dann und wann, doch wie wirkt sich das auf die Duschtasse aus, die Schamhaare verteilen sich nur besser. Lässt er es laufen, wird das Wasser kalt oder gießt den Badezimmerboden mit möglicherweise fatalen Folgen, würde er etwa ausrutschen und daran zugrundegehen, nach der Entfernung der Schamhaare, unaufmerksam, übermüdet, dann tot, aber mit entfernten Schamhaaren, sehr zur Freude des Leichenbestatters, vorausgesetzt der interessiert sich für eine schöne Leiche. Vor dem Waschbecken bleibt immer ein Rest von Unbehagen, denn schließlich benützen den Platz vor dem Waschbecken auch andere Leute und den Boden auszuwaschen vollbringen nur ordentliche Sturzbäche, das vollbringt nur die Natur, und auch die nicht richtig, mit einem Rest von Unschärfe, aber im Badezimmer mit seinen Fliesen geht das nicht so mir nichts dir nichts. Sorgt er nicht für eine nachhaltige Reinigung, dann stehen die nackten Füße der Nachihmbenützerin oder des Nachihmbenützers unter ungünstigen Umständen auf seinen Schamhaarstummeln, die dieselben nackten Füße dann schlimmstenfalls vertragen, so wie ein Logistikunternehmen Produkte transportiert, ein Abfalllogistikunternehmen Abfallprodukte transportiert, transportierten dann die Füße als blindes Logistikunternehmen den Schamhaarabfall ins Wohnzimmer auf den Teppich vielleicht oder – noch weit bizarrer, unvorstellbar – ins Bett, in sein Bett. Der ganze Prozess des Schamhaarschnittes wäre unterlaufen, durch die eigene Nachlässigkeit. Aber die Selbstverantwortung nimmt einem keiner mehr ab, und so individualisiert kannst du die Natur nicht im willkürlichen Zweikampf bändigen, da braucht es Effizienzdenken, er hat es hinausgezögert und jetzt steht er vor den Konsequenzen. Deshalb sucht er einen Weg des Schamhaarselbstmanagements. er liebt einfach, es zu tun, also nicht, die Schamhaare zu schneiden, denn das kann er nicht so lieben, wie er Kaffee zu trinken liebt, Schamhaare eignen sich nicht als Liebesobjekt, er meint ja nicht das Objekt, er meint den Prozess, reinstes Effizienzdenken. er sagt sich einfach: »Oh Freude, heute ist Schamhaarschnitttag.« Er optimiert mich biophysisch und weil er das regelmäßig tut, eben an den Schamhaarschnitttagen, kontrolliert er den Prozess und das Bild passt und der Körper passt und die Natur des Zerfalls ist in Schach gehalten, denn die Schamhaare sind nicht zu lang und er, er hat alles im Griff. Früher war ja alles mehr im industriellen Sinne, Sonntag, 8.45 Uhr, Schamhaarschnitttag, hätte das geheißen, und da fügt sich der Mensch der Maschine, denn die Zeit funktioniert auch wie eine Maschine, eine Stechuhr und du fügst dich ein, denn wenn du dich nicht unterordnest, dann fühlst du dich schlecht, weshalb du der Uhr dienst und nicht dem Prozess, in seltenen Fällen entscheidet dann oft eine Minute über das Unangenehme, er war eine Minute zu spät, weil er diese eine Minute gezögert hatte, nein, nicht Schamhaare zu schneiden, sondern sich selbst zu ergeben, aufzugeben, vielleicht war er müde, was ebenfalls Symptom des Zerfalls ist… aber er meint nicht dieses industrielle Verständnis, er meint das Prozesshafte – er liebt den Prozess, etwas Effizientes, etwas Werthaltiges – Körper- und Schönheitspflege – zu verrichten, den Einwegrasierer zu ergreifen, jede Bewegung sitzt, die Haare fallen aufgrund der genau bemessenen Länge, die Festlegung der richtigen Zeit für die Schamhaarschnitttage obläge dem Qualitätsmanagement des Selbstmanagements, nun, es wäre ihm ein Fest, ein Schamhaarschnittfest und gar nicht mehr unangenehme, ja lästige Tätigkeit oder gar Arbeit, es wäre werthaltige Lebensgestaltungszeit, Schamhaarlebensgestaltungszeit, effizienzoptimierte Schamhaarlebensgestaltungsnutzzeit genaugenommen, denn ein künstlerischer Lebensgestaltungsprozess ist das Schamhaarschneiden nun auch wieder nicht, das wäre möglicherweise das Faschingsschminken, dennoch: ein lustvoller Prozess. Und obwohl die Sterblichkeit immer noch nicht abgeschafft ist, beziehungsweise abzuschaffen ist, weniger im Sinne eines noch nicht realisierten Imperativs als in der Perspektive der Möglichkeit, man kann es einfach noch nicht abschaffen, also stürbe er aufgrund eben jener noch nicht abschaffbaren Sterblichkeit, so würde ein Individuum nach ihm die Schamhaarschnittprozesse im selben Effizienzsinne nach ihm aufnehmen und solcherart sich selbst verwirklichen und optimieren, das Schamhaarschneiden in Optimumorientierung fortführen und wo er war, hinterließe er keine Lücke und keinen leeren Platz, der ungenützt zu bleiben verurteilt wäre, und der Fortlauf stünde nicht still durch seinen Ausfall. Die Schamhaarschnittprozesse wären gesichert von der Adoleszenz bis zum Tod.

 

Martin M. Weinberger]